Unfallregulierung

Wer auffährt ist schuld? Stimmt nicht immer!

Wenn es nach einem Auffahrunfall um die Frage der Schuld geht, wird von vielen standardmäßig der Satz, „wer auffährt, ist schuld“ zitiert. Dies ist aber durchaus nicht immer der Fall, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom Dezember 2011 klarstellt.
In der Sache ging es um einen Unfall auf einer Autobahn. Der Kläger hatte behauptet, er habe versucht, einen LKW zu überholen. Hierzu habe er sich ca. 100 m vor Erreichen des LKWs vollständig auf der linken Spur eingeordnet. Der Unfall habe stattgefunden, als der Kläger mit seinem Pkw in Höhe des LKW gewesen wäre. Der auffahrende Beklagte sei offenkundig mit überhöhter Geschwindigkeit und unachtsam gefahren.
Der Beklagte wiederum gab an, das Fahrzeug des Klägers habe sich ca. 500 m hinter dem LKW auf der rechten Spur befunden. Der Beklagte sei auf der linken Spur gefahren und wollte den klägerischen Pkw passieren, als dieser plötzlich ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen auf die linke Spur zog.
Der genaue Hergang konnte trotz Einholung eines Gutachtens nicht geklärt werden. Das Landgericht ist von einer hälftigen Haftungsteilung ausgegangen, da es den Verlauf als nicht im einzelnen ausklärbar angesehen hat. Das Berufungsgericht hat dem Kläger vollen Schadensersatz zugesprochen. Es ging davon aus, dass ein typischer Auffahrunfall vorliege, der die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Auffahrenden rechtfertige.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Auffassung des Landgerichts bestätigt, wonach eine hälftige Haftungsteilung vorzunehmen sei. Der BGH führt aus, dass bei einem Unfall auf der Autobahn mit einem vorangegangenen Fahrspurwechsel sowohl eine Verursachung durch die verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers als auch eine Verursachung durch den vorausfahrenden Fahrer, der beim Spurwechsel das sich von hinten nähernde Fahrzeug übersehen oder dessen Geschwindigkeit unterschätzt hat, typische Geschehensabläufe seien. Unter diesen Umständen könne nicht standardmäßig von einem Verschulden des Auffahrenden ausgegangen werden. Eine hälftige Schadensteilung sei somit angemessen.
Die Entscheidung zeigt, dass die Haftung bei Verkehrsunfällen oft schwierig zu beurteilen ist. Ob die Richter des BGH im konkreten Fall davon ausgingen, dass der vorausfahrende Fahrer möglicherweise die Geschwindigkeit des auffahrenden Porsche 911 Carrera Cabrio unterschätzt hatte, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen.

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Lutz Reinhard Fachanwalt für Verkehrsrecht
Die Entscheidung des BGH VIZR177/10 v. 13.12.2011 finden Sie beigefügt als .pdf
BGH VIZR177-10 v. 13.12.2011 Wenn der Porsche auffährt ist er nicht immer schuld